Viele von euch haben in ihrer Kindheit bestimmt auch öfter mal den Satz gehört:
„Du kannst alles schaffen/werden, wenn du es wirklich willst!“
Kürzlich musste ich darüber nachdenken, als eine Freundin von einem Abend berichtete, bei dem eine Person bei verschiedensten Themen immer wieder mit der Antwort „Das ist nur eine Sache des Mindsets“ im Prinzip jedes weitere Gespräch, jede Diskussion, jeden Diskurs überflüssig machte. Auch auf Social Media sieht man immer wieder motivierende Posts, Storys und Reels mit ähnlichem Ansatz. Wenn man das nun aber etwas weiterspinnt, hieße das im Umkehrschluss ja, Menschen, die beispielsweise wenig Geld haben, Menschen, denen schlimme Dinge wiederfahren sind, Menschen, die es vielleicht nicht schaffen, ab- oder zuzunehmen, Menschen, die Probleme bei der Kindererziehung haben
– und man könnte mit der Aufzählung ewig so weiter machen –, die wollen einfach nicht genug, dass sich etwas ändert. Ist das nicht zu kurz, zu einfach gedacht? Äußere Umstände, das Umfeld, Veranlagungen, das richtige Quäntchen Glück und viele weitere Einflüsse werden dabei komplett außer Acht gelassen. Und je nachdem um welchen Bereich es geht, kann der indirekte Vorwurf
„Du willst es scheinbar nicht genug“
ziemlich unpassend, verletzend oder einfach falsch sein.
Ähnlich unpassend, verletzend oder falsch: Wenn es nicht heißt „Du kannst alles schaffen“, sondern – auch hier mal wieder Instagram als Beispiel – durch die Blume gesagt, „Du hast doch alles geschafft, beschwer dich nicht!“. Das ist eine neue Entwicklung, die man immer mehr beobachten kann, dass Menschen versuchen, sich bei negativen Dingen oder schlechten Erfahrungen zu übertrumpfen, nach dem Motto „Das ist zwar ärgerlich, aaaaber bei mir ist es so viel schlimmer, weil…“. Manchmal steckt der Gedanke dahinter – und da spreche ich aus Erfahrung – der anderen Person das Gefühl zu geben, nicht alleine mit einem bestimmten Problem zu sein. Und manchmal kann es durchaus helfen, zu hören, dass jemand anders mit einer ähnlichen Sache zu kämpfen hat. Häufig geht es aber – das kommt mir zumindest so vor – nur darum zu sagen, jemand soll sich halt nicht so anstellen.
Um solche Situationen zu vermeiden, bin ich durchaus dafür, dass man auch beim Rauslassen negativer Gefühle, wenn möglich, ein klein wenig darauf achtet, bei wem man das in welchem Moment macht. Natürlich schmälern die eigenen negativen Erfahrungen, Probleme und Gefühle nicht die der anderen Person, auch wenn sie für einen selbst vielleicht schlimmer oder größer wirken. Und man sollte dem Gegenüber ihre bzw. seine Gefühle lassen, sie ernst nehmen und nicht kleinreden.
Willenskraft und Mindset stärken, ist das immer die Lösung?
Ich würde aber, um mal ein recht einfach zu erklärendes Beispiel zu nennen, nicht unbedingt mit einer gerade Diät machenden Person, die 30 kg mehr wiegt als man selbst oder einer Person, die versucht, zuzunehmen und 30 kg weniger wiegt, über den eigenen Figur-Struggle sprechen, wenn es sich vermeiden lässt. Auch wenn ich mich selbst vielleicht derzeit genauso unwohl fühlen würde wie die andere Person. Auf Social Media sucht man sich meistens nicht direkt aus, mit wem man etwas teilt bzw. wer welchen Beitrag sieht, wohl aber, was man sich selbst anschaut. Also wenn man sich bei Beiträgen getriggert fühlt – besser skippen statt negative „Stell dich nicht so an“-Kommentare zu verfassen und sich reinzusteigern. Und wenn mal wieder jemand sagt „Du musst nur deine Einstellung ändern“ oder „Du musst es nur genug wollen“, einmal kurz in sich reinhören, ob das Problem, das Thema vielleicht wirklich eine Sache der Motivation ist und wenn nicht – Ohren auf Durchzug…
Nun Frage ich dich: Willenskraft und Mindset stärken, ist das immer die Lösung?
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