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AutorenbildBarbara Becker

Zwischen Tel Aviv und Jerusalem: Auf den Spuren von Oskar Schindler

Aktualisiert: 8. Dez. 2023


Auf dem Foto ist das Grab von Oskar Schindler zu sehen. Auf seiner Ruhestätte liegen Blumen, Steine und ein Rosenkranz als Zeichen der Verehrung und des Gedenkens.

Ich bin enttäuscht. Kein Stempel in meinem nagelneuen Reisepass. Dabei hatte ich mich so drauf gefreut. Stattdessen nur ein langweiliger Zettel mit meinem gescannten Gesicht und meinem Einreisedatum. Dankeschön! Lieber lächeln, denn der Grenzbeamte gegenüber von mir hat sein Maschinengewehr eindrucksvoll geschultert, während er mir mit starrer Miene erklärt, dass ich sonst Probleme bei der Einreise in den Iran, Libanon oder in Kuwait bekomme. Dabei will ich da gar nicht hin, denn ich bin doch gerade erst hier angekommen: Nicht gerade freundlich – eher kalt, heißt man mich willkommen in Israel. Was mich hierher geführt hat? Herzschmerz nach einer kaputten Ehe. Was ich hier suche? Die Spur einer Antwort und sie hat einen Namen: Oskar Schindler. Der in 1908 geborene Oskar Schindler war ein deutscher Unternehmer. Zusammen mit seiner Frau Emilie beschäftigte er über 1200 jüdische Zwangsarbeiter, um sie so vor der Ermordung in den Vernichtungslagern des NS- Staates zu bewahren. Er soll in Jerusalem begraben sein. Dorthin soll es gehen.

Ich sitze hoffentlich im richtigen Bus, der mich in die Stadt bringt, denn um ehrlich zu sein, weiß ich nur, dass mein kleines Hotel strandnah gelegen ist. Aber keine Lust auf Sorgen. Zwischen den Häusern lässt sich das Meer blicken. Zeit auszusteigen. Die Karte aus meinem Reiseführer bringt mich zu meinem Hotel – Internet ist hier nämlich extrem teuer! - Gefunden. Geht doch. Schnell die Tasche abstellen und auf in die Stadt.

„Schätzchen, jeder schwule Mann war schon mal in Tel Aviv!“,

erklärte mir noch in Berlin mein Nachbar. Schnell wird mir klar warum, die Stadt ist jung, lebendig und mir gegenüber sehr kontaktfreudig. An jeder Straßenecke finde ich zahlreiche Cafés, liebevoll eingerichtete Shops und tolle Restaurants aller Küchen.

Es erinnert mich stark an den Berliner Stadtteil Kreuzberg. Die Architektur, geprägt vom Bauhaus-Stil, mit abgerundeten Ecken, einem Flachdach, großen Fensterflächen, sieht mit ihrer weißen Putzfassade sehr clean aus. In ihrem Vorgarten findet man die tollsten Pflanzen: Bambus, Palmen und große Monstera – klar, bei 20 Grad im Februar, mit schon starker Sonne, hat man eine andere Auswahl an Flora als in Deutschland! „Schon verrückt“, denke ich, „wie viel Stadt man in gerade mal 113 Jahren bauen kann.“ Tel Aviv ist nämlich erst 1909 gegründet worden und beherbergt jetzt rund 450 000 Einwohner. Auf dem Balkon stehen bunte Surfbretter, das Meer kann man riechen und ich will direkt zum Strand laufen. Hier finde ich neben typischen Hochhäusern einige Strandabschnitte. Ja richtig, der Strand ist unterteilt in Abschnitte, einer für Frauen, einer für Männer, für Paare, für Schwule, für Lesben, für Leute, die surfen wollen, einer, um Fußball zu spielen, der andere zum Picknicken. Es gibt für alles einen Abschnitt. Ok, fast. Den Abschnitt für heiße Single- Männer habe ich leider nicht gefunden – so setze ich mich auf die Felsen und schaue den Wellen beim Brechen zu.

Ob Oskar Schindler schon hier am Strand war? Ich bin hier gestrandet nach einer Flut von Ereignissen, die ich vor kurzem erleben musste. Ich denke über den Mut nach, den ich für meine Scheidung nach 10 Jahren aufbringen musste. An mein Idol Oskar Schindler, der mich immer wieder inspiriert, mutig zu sein. Ist das eigentlich verrückt, dass ich nach Israel geflogen bin, um einen toten Mann zu bitten, mir ein paar Fragen zu beantworten, die mich schon so lange beschäftigen: Wie schafft es ein einziger Mensch, so viel Mut aufzubringen? Woher holt man so eine Kraft? Warum setzt man sein Leben für fremde Menschen aufs Spiel?

Die Frage beantwortete er mir zwar schon einmal in einem Interview, dass 1965 verfilmt wurde: „Die Verfolgung der jüdischen Menschen [...] haben in der Grausamkeit eine

armeeliche Steigerung genommen. Im Jahre 39 und 40 mit dem Judenstern, der Einschließung - und dem Zusammenpferchen der Menschen im Ghetto, haben natürlich den Sadismus in Reinkultur erst im Jahre 41 und 42 geoffenbart und ein denkender Mensch, der mit seinem inneren Schweinehund siegreich fertig wurde, musste einfach helfen. Es gab keine andere Möglichkeit.“ - Der innere Schweinehund? Wirklich? Das lass ich als Antwort nicht gelten! Da muss mehr sein!

Hunger. Endlich! Es gibt ja schließlich kaum eine bessere Küche als die jüdische!

Ich freue mich auf frische Falafel. Auffällig sind die vielen schönen und gut gekleideten Menschen. Und der Geruch in den Straßen: Entweder riecht es nach Weihrauch oder nach Cannabis! Gute Mischung.

Kaum habe ich im Restaurant Casino San Remo, neben der großen, urigen Holzbar Platz genommen, bringt mir eine junge Bedienung die Karte. Mist, alles in hebräischen Schriftzeichen. Eine Karte auf Englisch gibt es auch nicht. Dann bleibt mir nichts anderes übrig, als auf gut Glück zu bestellen. Die Bedienung brachte mir einen großen Kohlrabi- Salat, welcher mit Apfel verfeinert wurde. Sehr lecker und dazu noch vegan. Der moderne Hip Hop, aus den Musikboxen, brachte mir gute Laune und ich fing an, meine morgige Weiterreise nach Jerusalem zu planen. Neben der Suche nach dem Friedhof steht ein Besuch zur Klagemauer an. Auch ich möchte, wie so viele vor mir, dem alten Brauch folgen, meinen Wunsch niederschreiben und Gott bitten, dass er mir diesen erfüllt. Ich schreibe meinen Wunsch sehr ausführlich auf – eine A4 Seite lang. Ich liebe Details. Was drauf steht? Geheimsache. Viele orthodoxe Juden schreiben ihre Sorgen, Hoffnungen, Genesungswünsche und Bitten auf kleine Zettel und stecken sie in die Schlitze der Klagemauer. Sie glauben und hoffen, dass Gott sie dafür an diesem für sie heiligen Ort auf besondere Weise erhört. Juden kommen aus der ganzen Welt hierher, um zu beten und zu gedenken. Sie ist ein Überbleibsel des zweiten Tempels in Jerusalem und stellt für viele ein Symbol für den ewigen, bestehenden Bund Gottes mit seinem Volk dar.


Zwischen Tel Aviv und Jerusalem: Auf den Spuren von Oskar Schindler

Nächster Morgen, 8:00 Uhr – Hummus schnell leer löffeln und ab in den Bus zum Bahnhof. Ich bin auf jeden Fall im richtigen Bus und den Bahnhof erkenne ich, dann nur schnell rausspringen. Aber auf einmal stehe ich mitten im Nirgendwo, in einer wüstenähnlichen Landschaft an der Endstation. Ok, nützt alles nichts, Internet an, neuen Bus gesucht – Navi Richtung Bahnhof. Bling – neue Nachricht: „Lieber ... Kunde, Sie haben den Maximalbetrag gem. EU-Regulierung von 59,50 € für Datenroaming erreicht ... für den Rest des Abrechnungsmonats gesperrt ...“ Shit, dann eben offline! Ging früher ja auch!

Ich sitze endlich im Zug und genieße die Landschaft. Sie sieht trocken aus. Sehr wenig Vegetation. Berge in sandfarben. Viele Steine. Ja, sieht schon fast steppenartig aus.

Jerusalem: Ohne Internet die Altstadt zu finden ist wirklich eine Herausforderung. Noch schwerer wird es, den katholischen Friedhof aufzuspüren. Ich hatte im Vorhinein das ganze Internet durchforstet – und keiner konnte genau erklären, wo er sich befindet. In der Altstadt angekommen wird mir schnell klar warum. Sie gleicht einem Labyrinth. Hier vereinigen sich einige der heiligsten Stätten von Judentum, Christentum und Islam auf engstem Raum. Ein großes Gewirr auf einen Quadratkilometer. Verwinkelte Gassen, Sackgassen, Märkte und zahlreiche Sehenswürdigkeiten laden zum Verlaufen ein. Sehr viele Menschen tummeln sich hier. Überall sind kleine Geschäfte, in dem man den üblichen touristischen Schnickschnack kaufen kann, aber auch viele Restaurants. Straßenschilder sucht man hier vergebens, aber eine grobe Richtung habe ich ja und da hinten sehe ich tatsächlich einen Friedhof. Ein sehr langer Weg, aber angekommen. Ein großer Friedhof, die Gräber wurden nicht bepflanzt, sondern die meisten hatten eine Sandsteinplatte, als Deckel. Der Friedhofswart schläft in seinem Häuschen, aber mein lautes Klopfen weckt ihn. „Nein, hier liegt kein Oskar Schindler“, erklärt er mir auf Englisch. Dann gehe ich wohl wieder zurück. Sich Durchfragen ist angesagt! Alle sind sehr nett, aber wirklich helfen kann keiner. Bis ein netter Mann zu mir meint: „Ja, der Friedhof ist nur noch diesen Weg hier runter. Aber er ist geschlossen! Die Friedhöfe hier haben nur bis 15:00 Uhr auf und es ist 15:15!“ Darauf ich: lächeln, danke, danke, weggehen, schreien, heulen! Ok. Zusammenreißen und auf zur Klagemauer! Kaum meinen Wunsch abgelegt, erklärt man mir, dass man auch als Botin fungieren kann. Sprich, die Wünsche für andere hier ablegen! Eine tolle Idee für meine Social Media-Freunde, denke ich. Später im WLAN biete ich meinen Followern an, dass sie mir ihre Wünsche sagen können und ich diese an der Klagemauer für sie niederschreibe und ablege, als Botin.

Zurück in Tel Aviv angekommen, total übermüdet, voll mit den ganzen Eindrücken, frage ich mich, was ich hier eigentlich mache? Ob ich bescheuert bin? Ich fliege um die halbe Welt, um zu hoffen, dass ein toter Mann mir eine Antwort schenkt! Genieß doch lieber das Meer! Aus meinen Kopfhören kommt das Lied „Tel Aviv“ von Max Herre, der in seinem Text von einer jüdischen Familie erzählt, die 1938 aus Berlin nach Tel Aviv flieht und wie die kleine Elli ihre geliebte Heimat, Berlin Weißensee, vermisst. Ich muss das Grab morgen finden. Ich fahre nicht nach Hause, ohne mich bei Oskar Schindler zu bedanken, ihm meine Bewunderung auszudrücken, ohne mich vor ihm zu verneigen. Einfacher wäre es für mich sicherlich gewesen, er wäre in Berlin Schöneberg beerdigt worden, aber er hatte etwas anderes vor:

Nach dem Krieg musste Oskar Schindler fliehen, da er offiziell als General unter Hitler ein Nazi war. Auf seinem Weg über Konstanz in die Schweiz wurde er festgenommen, er konnte aber die französische Besatzungsmacht überreden, ihn wieder freizulassen. Nachdem er eine Zeit in Regensburg verbrachte, zog er mit seiner Frau Emilie nach Argentinien und gründete eine Nutriafarm. Leider hatte er sowohl mit dieser als auch mit der wieder in Deutschland gegründeten Betonfabrik keinen Erfolg. So landete er 1961 in der Insolvenz. Als von ihm gerettete Juden von seinen finanziellen Schwierigkeiten erfuhren, luden sie ihn nach Jerusalem ein. Hier gefiel es ihm. So verbrachte er die eine Hälfte des Jahres in Jerusalem und die andere zurückgezogen in Frankfurt, in seiner Ein-Zimmer-Wohnung. Die Ehrenrente, die man ihm zusprach, reichte zum Leben.

Als er am 9. Oktober 1974 in Hildesheim verstarb, fand er seine letzte Ruhe, auf seinen Wunsch hin, am Berg Zion in Jerusalem auf dem römisch-katholischen Friedhof.

7:00 Uhr nächster Morgen, schnell noch am Blumenstand Blumen gekauft. Denn heute werde ich es finden! Den Bahnhof, die Altstadt von Jerusalem und die grobe Richtung waren wieder schnell klar. Ich fragte mich durch und kam meinem Ziel immer näher. „Ja, ich weiß wo er liegt! Ich habe Zeit und bringe dich hin!“, ein Mann Mitte 50, kleiner als ich, Englisch sprechend und mit einem Lächeln, das ich gewiss nie vergessen werde! Ein runder Torbogen mit einem Schild: To Oskar Schindler ́s Grave! Ich habe es geschafft. Ein wunderschöner Friedhof. Er ist im Hang gelegen und bietet eine traumhafte Aussicht auf die bebauten Berge. Da ist es. Sein Grab! Sein Grabstein ist aus sandfarbenem Marmor. Auf der großen Platte, liegen ganz viele kleine Steine – ein uralter Brauch. Anstatt Blumen legen Juden Steine auf ihre Gräber. Früher wurden die Toten in der Wüste begraben. Dort gab es keine Blumen und auch keine schönen Grabsteine. Zur Bestattung brachten Angehörige kleine Steine mit und schichteten sie auf dem Grab auf. Der Leichnam wurde so vor wilden Tieren geschützt und gleichzeitig galt es als Markierung.

„Oskar Schindler, 28.4.1908 – 9.10.1974, Der unvergesslicher Lebensretter 1200 verfolgter Juden“, steht auf Deutsch auf seinem Grabstein und in hebräischer Inschrift „Gerechter unter den Völkern“. Ich stehe davor und kann nicht anders. Ich muss fürchterlich weinen. So viele Gefühle in mir: Trauer, Bewunderung, Liebe. Ich lese ihm meinen Brief vor, den ich ihm schrieb, lege diesen zusammen mit den Blumen auf sein Grab und beschwere ihn mit dem schönsten Stein, den ich finden konnte. Ich setzte mich zu ihm, weine und rede mit ihm. Zum Glück bin ich hier ganz alleine und kann diesen wirklich besonderen Moment genießen. Die Aussicht auf die Berge, die großen Nadelbäume, die Sonne und der blaue Himmel, herrlich. Hier würde ich mich auch begraben lassen wollen.

Nach über einer Stunde gehe ich zurück zur Klagemauer. Ich möchte ja noch die Wünsche meiner Social Media-Freunde abgeben. Es sind so tolle Wünsche! Alle wünschen sich etwas Liebevolles. Einen Partner, die wahre Liebe. Entweder für sich – oder für jemanden, der ihnen wichtig ist. Außerdem ist viel Gesundheit für andere dabei. Finanzielle Hilfe, meistens nicht für sich selbst. - Jeder Wunsch war voller Liebe und Leidenschaft.

Ich habe noch ein paar Tage in Tel Aviv genossen und sitze nun hier am Strand, in meinem Lieblingskuschelpullover und picknicke. In drei Stunden muss ich zum Flughafen, um zurück nach Berlin zu fliegen.

Ich denke über meine Zeit hier nach und an das, was mich zu Hause erwartet. Die verlorengegangene Liebe, die noch betrauert werden muss. Aber auch an die Geschichte aus Max Herres Lied, über die Heimatliebe. An die zahlreichen, liebevollen Wünsche an der Klagemauer. An meine Bewunderung für Oskar Schindler –

so viel Liebe, in so vielen verschiedenen Formen!

Und da ist sie, die Antwort auf meine Fragen, für die ich um die halbe Welt geflogen bin! Wie ein einziger Mensch so viel Mut aufbringen kann? Ich spürte sie. Es war, als hätte er mir sie in mein Ohr geflüstert. Das, was Oskar Schindler Kraft gab, das, was er geleistet hatte, hatte er genau aus einem Grund getan: aus Nächstenliebe.




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